"Alle Strafe wird als ein Uebel empfunden; vergiss nie, dass niemand daran Schuld ist als du allein."
Johannes Schwerdfeger Gefaengnisdirektor


"Eine kriminelle Handlung ist doch am sichersten im Knast."
Felix Schwerdfeger Sohn des Gefängnisdirektors



Biographie von PETER RUEHRING

Peter Ruehring ist am 10.7.1942 in Bremerhaven geboren. Ausbildung an der Westfaelischen Schauspielschule in Bochum. Zahlreiche feste Engagements an verschiedenen großen Haeusern wie dem Nationaltheater Mannheim, Staatstheater Stuttgart, Theater und Philharmonie Essen durchlaufen. Von 1996-2001 war er am Residenztheater Muenchen engagiert, wo er in Produktionen wie Woyzeck, Don Juan und Faust in Zusammenarbeit u. a. mit den Regisseuren Klaus Emmerich, Anselm Weber und Gerd Heinz zu sehen war.


Filmografie (Auswahl)

2030 Aufstand der Alten /2006/ Regie: Jorg Luedorff
Die Bullenbraut /2005/ Regie: Ulli Baumann
Die Familienanwaeltin /2005/ Regie: Richard Huber
Das geheime Leben meiner Freundin /2004/ Regie: Walter Weber
Speer und er /2004/ Regie: Heinrich Breloer
Tatort – Odins Rache /2003/ Regie: Hannes Stoehr
Baader /2001/ Regie: Christoph Roth
Tatort – Moerdergrube /2000/ Regie: Christine Balthasar
Bittere Unschuld /1998/ Regie: Dominik Graf
Nichts als die Wahrheit /1998/ Regie: Roland Suso Richter
Manila /1998/ Regie: Romuald Karmakar
The English Patient /1995/ Regie: Antony Minghella


Biografie von THOMAS MUELLER

Thomas Mueller ist 1978 in der Schweiz geboren und lebt in Berlin. Ausbildung and der Theaterhochschule Zuerich. Engagements u. a. am Theater an der Sihl Zuerich, am Stadttheater Konstanz und am Maxim Gorki Theater Berlin.


Filmografie

Moskauer Eis /2005/ Regie: Sascha Bunge
Bibel – Factory /2005/ Regie: Didi Danquart
Sarajewo /2002/ Regie: Albert Hirche


Biographie von JOHANNES SCHWERDFEGER

Johannes Schwerdfeger wird am 13. Dezember 1946 in Aarau geboren. Sein Vater Hansmartin (45) ist leitender Angestellter bei der SBB. Nach einer kaufmaennischen Lehre arbeitet er sich noch waehrend des Krieges bei der Eisenbahn hoch, bis er zustaendig ist fuer die Fahrplanerstellung im Bereich Nordwest. Er ist grundsaetzlich ein ruhiger Mensch, der allerdings wegen Kleinigkeiten cholerische Anfaelle bekommen kann. Hansmartin ist engagierter Gewerkschafter im SEV.

Die Mutter Vreni (24) heiratet 1944 ihren Hansmartin. Er gilt als sichere Partie. Vreni kommt aus einer streng katholischen Bauernfamilie aus dem Luzerner Seeland. Kennen gelernt haben sie sich, als Vreni im Frauenhilfsdienst im Einsatz stand. Johannes ist ihr einziges Kind. Die Eltern von Johannes sind stolz, dass direkt nach dem Krieg das Einkommen des Vaters reicht, um die Familie zu ernaehren. Die Mutter kuemmert sich ganz um den kleinen Johannes. Sie sind sparsam, aber es mangelt ihnen an nichts

Als Johannes drei ist, ziehen sie in eine geraeumige 4-Zimmerwohnung. Das neugebaute Mehrfamilienhaus wird von einer Genossenschaft verwaltet. Die Wohnungen sind hauptsaechlich Eisenbahnangestellten vorbehalten. Der Vater sitzt im Vorstand der Genossenschaft. Vreni, die Mutter, haette gerne noch ein Kind, doch es will nicht klappen, zumal ihr Mann immer seltener Lust verspuert.

Johannes ist vier, als er zum ersten Mal einen cholerischen Anfall seines Vater mitbekommt. Es ist Sonntagvormittag, die Mutter ist damit beschaeftigt, einen Kuchen fuer den Verwandtenbesuch am Nachmittag zu backen. Johannes rennt aus der Kueche, er hat sich mit dem Loeffel ein wenig steif geschlagenes Eiweiss stibitzt. Er stolpert ueber die Teppichfliesen. Das Eiweiss fliegt mit dem Loeffel auf die Zeitung, die sein Vater im Lehnstuhl sitzend liest. Hansmartin bruellt den Jungen an. Die Mutter kommt aus der Kueche um den Kleinen in Schutz zu nehmen. Wutentbrannt reisst der Vater ihr die Schuerze vom Leib und schlaegt minutenlang auf sie ein. Johannes sieht zu und weint. Vreni sagt mit aufgequollenem Gesicht dem Besuch ab: Sie habe Migraene. Den Kuchen baeckt sie fertig. Der Vater geht raus und bleibt den halben Tag weg. Am Montag stellt er einen Strauss weisse Rosen auf den Tisch im Wohnzimmer. Ueber den Vorfall wird nie geredet. Und auch Johannes erzaehlt nie davon.

Johannes ist im Kindergarten der Kleinste. Er geht nicht gerne hin. Sein Vater will oft mit ihm auf der Wiese Fussball spielen. Johannes hat keine Lust, er spielt lieber mit seiner Puppenstube zu Hause – ein Erbstueck der Mutter - und schaut das Bilderbuch mit dem Froschkoenig an. Das sei doch nichts fuer Knaben.... Er solle sich keine Sorgen machen, Johannes werde schon noch ein richtiger Bub, er sei halt noch ein wenig klein, nimmt ihn seine Mutter in Schutz.
Zum Schulanfang bekommt Johannes mit 7 eine Maerklin HO Eisenbahnanlage von seinem Vater geschenkt. Er spielt gerne damit. Sein Vater fast noch lieber. Sie ergaenzen sich perfekt: Johannes ist zustaendig fuer den Landschaftsbau und sein Vater fuer den Fahrbetrieb. Am Samstagabend vor der Tagesschau spielen sie im Bastelkeller zusammen. Der Vater hat das sechsachsige Krokodil aufs Gleis gestellt. Es ist seine eigene Lok. Johannes spielt den Fahrdienstleiter. Er stellt eine Weiche falsch, es kommt zum Zusammenstoss mit einem Personenzug. Der Vater regt sich unheimlich auf, kommt in Rage und faengt an auf den Jungen einzuschlagen. Ploetzlich laeuft Hansmartin blau an und greift sich um Luft ringend ans Herz. Der Vater kracht bocksteif vorne ueber. Johannes laeuft aus der Nase blutend hoch in den zweiten Stock zur Mutter. Der Notarzt stellt den Befund: Verdacht auf Herzinfarkt mit 53. Johannes hat Schuldgefuehle. Nach einem halben Jahr kommt der Vater wieder aus dem Krankenhaus. Ueber den Vorfall wird nie geredet.


Mit 12 schlaegt der Lehrer den Eltern vor, Johannes aufs Gymnasium zu schicken. Er ist ein unauffaelliger Schueler, der gewissenhaft seine Aufgaben macht, sich selten muendlich am Unterricht beteiligt, aber sehr gute Arbeiten schreibt. In einer Clique von fuenf Jungs laeuft er hin und wieder mit. Der Vater protestiert gegen seinen Wunsch aufs Gymnasium gehen zu wollen. Doch seit der Streifung lebt er sehr in sich gekehrt und beim Gespraech mit dem Lehrer sagt er kein Wort. Die Mutter stimmt zu. Zu Johannes meint der Vater dann zu Hause: „Mein ja nicht, du bist jetzt was besseres, weil du aufs Gymnasium gehst.“

Johannes ist 15 und begeistert sich fuer Geschichte und Geographie. Er ist ein schlechter Sportler und liest sehr viel. Trotzdem geht er mit dem Jungen, dem aus der Nachbarsfamilie im Block, in den Sommerferien auf eine einwoechige Fahrradtour. Gemeinsam fahren sie mit dem Dreigangvelo ueber Alpenpaesse. Sie schlafen im Zelt. Johannes ist gluecklich. Die aufkeimende Freundschaft tut ihm gut. Martin, der einen Kopf groesser ist als er, sehr kraeftig und Schwarm aller Maedchen, bewundert er, wie er immer wieder in den Zeltgespraechen betont. Johannes ist stolz, das sich Martin mit ihm abgibt.

Nach dem Abitur absolviert er die Rekrutenschule. Obwohl koerperlich anstrengend, geniesst Johannes die klaren Regeln, die Kameradschaft, ohne das er Gruppenerster waere. Den Vorschlag zur Unteroffizierschule nimmt er gerne an. Nur sein Vater murmelt etwas von: „Arbeiter gehoeren nicht ins Offizierskasino.“

1966 Johannes ist 20, als er ein Jurastudium an der Universitaet Zuerich anfaengt. Im Treppenhaus bekommt er zufaellig ein Gespraech zwischen seiner Mutter und der Nachbarin – der Mutter von Martin – mit. Martin habe jetzt eine neue Freundin, die Tochter des Tierarztes, es sei wohl ziemlich ernst, er rede vom Ausziehen, sobald er mit der HTL fertig sei. Seine Mutter gesteht, dass Johannes bisher nie von Maedchenbekanntschaften geredet habe. Johannes ist befremdet und irgendwie beschleicht ihn eine Traurigkeit. Warum weiss er auch nicht. Er hat nie daran gedacht zu Hause auszuziehen.

An der Uni begeistert er sich die ersten Semester fuer roemisches Recht. Sie sind nur fuenf Studenten im Seminar “Ueber die Koerperschaft des roemischen Buerger und seine Wurzeln im Privatrecht“. Eines Abends legt ihm der Professor in seinem Buero, nachdem seine Kommilitonen gegangen sind, die Hand aufs Knie und erkundigt sich, ob er denn eine Freundin habe. Johannes ist peinlich beruehrt und stammelt ja. Das Erlebnis wuehlt ihn auf. Sein Interesse am roemischen Recht verblasst etwas.

Johannes ist 22, als eines Morgens sein Vater nicht mehr aufsteht. Die Eltern schlafen schon seit Jahren in getrennten Zimmern. Als seine Mutter den Vater in der Nacht hoert, geht sie rueber. Er wolle keinen Arzt. Sie macht ihm kalte Umschlaege, doch er hechelt immer staerker. Der Hausarzt stellt fruehmorgens den Tod fest: Herzversagen mit 68 Jahren.

An der Universitaet stehen die Dikussionen ganz im Zeichen des Veraenderungsdranges von 1968. Johannes schliesst sich einer gemaessigten Gruppe um die demokratischen Juristen an. Sie haben vor allem das Schweizerische Strafgesetz im Visier, welches nicht mit der europaeischen Menschenrechtskonvention uebereinstimmt. Doch die allgemeinen rechtspolitischen Diskussionen tun es Johannes nicht besonders an. Zumal er weniger Zeit fuer die Vollversammlungen hat, da er sein Studium nachts auf der Bahnpost mit Saecke schleppen verdienen muss. Vielmehr interessiert ihn der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, Straftat und Strafmass. Allerdings kann er dem generellen Vorwurf der Klassenjustiz der revolutionaeren Marxisten so nicht zustimmen. Das ist ihm zu vulgaer und in der Konsequenz der Ablehnung des buergerlichen Rechts zu radikal.

Johannes promoviert mit 27 Jahren. Seine Mutter ist bei der Feier ergriffen und meint: „Wenn das nur der Vater noch erleben koennte.“ Das ist ein Stich ins Herz von Johannes, und er sieht durch seine feuchten Augen das immer wieder gruen und blau geschlagene Gesicht seiner Mutter.

Johannes wohnt weiterhin in Aarau bei seiner Mutter und faengt als Volontaer bei einer renommierten Kanzlei in Zuerich an. Seine Mutter langweilt sich zu Hause und nimmt eine Stelle als Kassiererin im ACV an. Abends schauen sie bei einem Glas Rotwein gemeinsam Fernseh: „Wenn da Enkelkinder waeren, das waere was anderes...“ und die Mutter streicht dabei ihrem Sohn ueber den Kopf. Johannes stoesst unwirsch ihre Hand weg, entschuldigt sich aber sofort.

In der Kanzlei lernt er den Kollegen - Pierre de Weck - kennen. Ein Zyniker aus gutbuergerlichem Haus, der der Dekadenz zuneigt. Allerdings ein ebenso brillanter Strafverteidiger, der seine rhetorischen Faehigkeiten voll einsetzen kann. Johannes bewundert ihn. Eines Abends, sie haben ordentlich getrunken, zeigt ihm Pierre, wie man sich auf der Bahnhofstoilette von einem Strichjungen oral befriedigen laesst. In Johannes mischen sich Erregtheit und Abscheu, doch noch in der gleichen Nacht gibt er sich Pierre in dessen Wohnung hin. Darueber wird nie gesprochen.

Johannes hat seine Strafprozesse. Er bleibt in der Kanzlei, waehrend sich Pierre selbstaendig macht. Hin und wieder geht er zur Klappe an den Bahnhof, nimmt einen Jungen in ein Stundenhotel oder verkehrt in einschlaegigen Kneipen. Gegenueber seiner Mutter erfindet er eine Freundin, das sei der Grund, warum er manchmal nicht nach Hause nach Aarau komme. Sie merkt, dass das nicht stimmt, fragt nicht nach und laesst es geschehen. Seine Prozesse erledigt er nicht aufsehenerregend, aber ordentlich. Er uebernimmt jeweils die unspektakulaeren Pflichtverteidigungen.

Er ist 38 als er 1985 die Verteidigung eines 28-jaehrigen Italieners uebernimmt. Vergehen: Totschlag und diverse Drogendelikte. Johannes ueberfaellt blitzartig die Erinnerung, ein Junge vom Bahnhof. Er hofft, dass ihn dieser nicht erkennt, was auch nicht der Fall ist. Doch die Routine will sich trotzdem nicht mehr einstellen. Der Staatsanwalt wundert sich ueber die Fahrigkeit des Kollegen. Johannes geht seit dem nicht mehr zum Bahnhof. Er beschliesst sich beruflich umzuorientieren und schreibt sich fuer ein berufsbegleitendes Nachdiplomstudium der Sozialpaedagogik ein.

Am 1.April 1987 uebernimmt Johannes Schwerdfeger im Alter von 41 Jahren als Direktor das Schaellemaetteli. Sein Motto: “Das Gefaengnis ist kein Hotel oder Ferienlager. Jeder Insasse soll sich wuenschen, nie mehr hier rein zu muessen“. Das Gefaengnis ist keine soziale Institution. Johannes steht fuer Haerte, aber auch Gerechtigkeit und Gradlinigkeit, dass werde hier so verlangt. Allerdings ist ihm klar, dass er die Regeln der Gefangenen nie ganz verstehen oder ergruenden kann. Er ist stolz, seinen Laden im Griff zu haben. Ansonsten widmet sich Johannes Schwerdfeger dem historischen Studium der Entstehung des Gefaengnisses und wenn er bei Laune ist, zeigt er seine private Diaschau mit alten Stichen, die Folter und Marter darstellen. Ausserdem macht er sich einen Spass daraus, seine Gespraechspartner beim ersten Zusammentreffen mit einem Bonmot aus seinem reichen Zitatenschatz zu begruessen.