"Im Gefaengnis ist die Haut duenn und die Seele ueberall"
Mohammed Hiab Gefangener


Biographie von OLIVER ZGORELEC

Oliver Zgorelec ist am 18.8.1979 in Dornach, Schweiz geboren und aufgewachsen.
Ausbildung an der Scuola Teatro Dimitri, Hochschule fuer Theater und Bewegung, in Verscio TI. Lebt heute in Basel und arbeitet als Schauspieler, Bewegungsschauspieler und Taenzer. Engagements an verschiedenen Theatern und Festivals: die Impronauten Basel, Theater Basel, oeff oeff productions Bern (Luftartistik), REMIND 2005, Compagnia Rosa Productions, Basler Theaterfestival 2004, Teatro Dimitri Verscio, Theater Oberwil. 2007 spielt Oliver Zgorelec am Neuen Theater am Bahnhof in Dornach in La Serva Padrona, einer Opera Buffa, von Giovanni Battista Pergolesi mit.


Filmografie (Auswahl)

Wen der Berg ruft /2007/ Regie: Tamara Staudt, Kino (abgedreht)
Das Fraeulein /2006/ Regie: Andrea Staka, Kino
Sonjas Rueckkehr /2006/ Regie: Tobias Ineichen, DRS


Biografie von MOHAMMED HIAB

Mohammed wird als fuenftes Kind von Sadam Bektasch und Fatima waehrend dem Ramadan im Fruehjahr geboren. Es wird gerade das zehnjaehrige Thronjubilaeum von Koenig Hassan II. gefeiert. Das genaue Geburtsdatum steht nicht fest. Der Vater ist Fischer in der Stadt Agadir, im Sueden von Marokko. Die Mutter arbeitet in einer kleinen Fischkonservenfabrik, die aber nur unregelmaessig Arbeit bietet. Die Eltern sind praktizierende Muslime, ohne streng glaeubig zu sein. Die Familie der Mutter bewahrt ihre Traditionen als Berber.

Mohammed wird vor allem von seiner aelteren Schwester beaufsichtigt. Die Kinder spielen in der Barackensiedlung hinter dem Hafen. Ihr Lieblingsort ist der Schrottplatz der Werft. Mohammed ist ungefaehr vier, als er mit Grossen auf dem Markt mitgeht: Einkaufstaschen verkaufen, die aus alten Kunststoffsaecken zusammengenaeht werden. Den Verdienst liefern die Kinder ihrer Mutter ab. Am grossen Beschneidungsfest will ihn sein Vater in die Obhut eines Onkels aus Marrakesch geben. Der Onkel betreibt eine kleine Metallwerkstatt auf dem Souque. Der Onkel findet aber mehr Gefallen an seinem aeltern Bruder, so geht dieser nach Marrakesch. Wie die meisten der Kinder aus dem Viertel besucht Mohammed keine offizielle Schule.

Die einzige Moeglichkeit fuer Mohammed Hiab in die Schule zu gehen bestuende so oder so nur im Besuch der Koranschule und dafuer sind seine Eltern zu wenig aktiv in den verschiedenen islamischen Vereinen. Mohammeds Traum ist es, in einem der Hotels in der Oberstadt als Kellner zu arbeiten. In den Sommermonaten quillt der westliche Teil der Stadt vor Touristen ueber. Unten am Strand liegen die sonnenhungrigen Europaeer dicht gedraengt. Die Jungs verkaufen am Strand allerlei Ramsch. Die Mutter sieht es gar nicht gerne, wenn der halbwuechsige Mohammed und seine Freunde am Strand die halbnackten Europaeerinnen anschauen, allerdings kann die Familie das Geld aus den Verkaeufen ganz gut brauchen. Die Jugendlichen handeln mit Holzfiguren: Elefanten, Giraffen, Krokodilen und Kamelen. Mohammed ist mit seiner weniger forschen Art ein sehr guter Verkaeufer. Sein Trick besteht darin seine potentiellen Kunden pro Tag nur ein Mal anzusprechen, dafuer jeden Tag. Manchmal scheucht er andere aufdringliche Haendler weg und bietet den Touristen so Schutz vor dem andauernd manifesten Verkaufsdrang der Strassenhaendler. Zu Mohammed schoepfen die Auslaender schnell Vertrauen. Ausserdem ist er sehr sprachbegabt. Er hat am Strand ganz passabel franzoesisch gelernt und kann falls noetig bayrische Grussformeln oder verschiedene Ausdruecke aus diversen Deutschschweizer Dialekten benuetzen.

Mohammed ist fast ausgewachsen und rasiert sich taeglich. In diesem Zeitraum spezialisiert er sich auf alleinreisende Frauen. Er bietet Stadtrundgaenge und Ausfluege in die naehere Umgebung an. Natuerlich hat er sich von einem Schreiber auf dem Markt ein Zertifikat anfertigen lassen und eine Blechmarke fabriziert, dass er der Gilde der staatlich geprueften Fremdenfuehrer angehoere. Er weiss, was die Europaeer nicht schwarz auf weiss sehen, glauben sie nicht, aber anderseits kaemen sie nie auf die Idee an der Existenz der nicht existierenden Behoerde zu zweifeln.

Eines Tages spricht er mit einer grossen blonden Frau aus Oesterreich in seinem Lieblingscafé. Sie stellt sich als Ethnologiestudentin vor, die eine Arbeit ueber die Situation der Tuareg, die, ihrer traditionellen Lebensweise entfremdet, in den staedtischen Zentren am Rand der Sahara leben, schreiben wolle. Sie sei auf der Durchreise Richtung Sueden. Mohammed schaltet schnell: „Ich bin Tuareg“. Sein Lebenslauf toent recht abenteuerlich, aber das sucht die Studentin schliesslich auch. Eva Pakeschki scheint auch dem folgenden zweiwoechigen Strandleben nicht grundsaetzlich abgeneigt zu sein. Mohammed zeigt ihr Agadir und Umgebung und erzaehlt vom Leben als Tuareg. Eva bezahlt. Sie ist 24, ein paar Jahre aelter als er. Sie findet Gefallen an ihrem kleinen Tuareg und verfuehrt ihn. Fuer Mohammed ist es das erste Mal. Sie schmieden gemeinsame Lebensplaene. Da Eva bald kein Geld mehr hat, denkt sie an eine Rueckkehr nach Wien. Sie beschliessen, dass Mohammed als ihr Gast mitkommen solle. Die Eltern von Mohammed wissen nichts von der Freundschaft. Doch sein aelterer Bruder, ein aktiver Islamist, hat seine Liebelei entdeckt, versucht ihn mit starkem Druck von seinem Vorhaben nach Europa zu reisen, abzubringen. Doch Eva weiss, was sie will und besorgt ein drei Monate gueltiges Visum fuer Mohammed auf dem oesterreichischen Konsulat in Agadir. Mohammed spricht zu Hause das erste Mal von Heirat. Davon weiss Eva natuerlich nichts. Die Eltern wollen ihre zukuenftige Schwiegertochter kennen lernen. Sie empfangen Eva sehr herzlich. Die Familie ist das erste Mal bei der Abreise des Paares auf einem Flughafen.

In Wien fliegt Mohammeds Tuaregschwindel schnell auf. Eva ist sauer. Ausserdem gestaltet sich der gemeinsame Alltag als aeusserst schwierig. Sie studiert und arbeitet wie schon seit langem im studentischen Reisebuero. Mohammed haengt rum und draengt auf Heirat. In den Augen von Eva hat er sich voellig darauf versteift; sie will ihre Freiheit. Schliesslich versiegt ihre ethnologische Ader und sie sattelt zielbewusst auf Betriebswirtschaft um. Wenn er hier bleiben wolle, muesse er halt arbeiten gehen.

Mohammed sieht per Zufall ein Restaurant mit persischer Kueche. Er arbeitet schwarz in der Kueche. Als er weiterhin Ansprueche an Eva anmeldet, stellt sie ihn vor die Tuer. Eigentlich ist Mohammed ganz froh. Die dauernden Streitereien sind anstrengend und in Europa scheint das Heiraten sowieso nicht wichtig zu sein. Er teilt sich mit einem Arbeitskollegen ein Zimmer. Mehedi ist sehr glaeubig. Mehr aus Langeweile geht Mohammed mit in die Moschee. Eines Abends laesst ein Gast seine Kreditkarte auf dem Rechnungsteller liegen. Der Gast einer dieser neureichen Nordafrikaner in Damenbegleitung, fiel durch sein unflaetiges Benehmen auf. Deshalb fiel es Mohammed nicht schwer die Karte einzustecken. Er weiss, dass er mit einer Unterschrift einkaufen koennte. Da er aber weder lesen noch schreiben, kann nuetzt ihm die Kreditkarte wenig. Er verkauft sie einem Bekannten.

Mohammed beschliesst die der Mosche angegliederte Koranschule zu besuchen. Das rezitierende auswendig Lernen hat eine beruhigende Wirkung und laesst Mohammed seine drueckenden Sorgen vergessen: Die Geldnoete und die Sehnsucht nach einer Frau. Eines Abends machen er und ein Bekannter, der Zeitungen verkauft, sich lustig ueber die seltsame Sitte, mittels einer Kontaktanzeige eine Frau oder einen Mann zu finden.

In der Koranschule kommt er ganz gut voran, zumal Mohammed sich auch immer staerker auf den Inhalt einlaesst. Der Lehrer ein aufgeklaerter Schiit bemerkt Mohammeds Interesse und empfiehlt ihm die Verse des Sufi Meisters Husain Al-Halladasch. Von einem Vers inspiriert will er eine Kontaktanzeige aufgeben. Er besucht Eva, die ihm lachend bei seinem Vorhaben hilft und den Text schreibt: "Bist du der betoerende Duft der schwarzen Rose? Oder die erfrischende Naesse vor Tagesanbruch, die die Sandkoerner der Wueste bindet? Ich erwarte dich. Chiffre 1227685." Eva redet Mohammed erfolgreich aus, seine Heiratsabsichten schon im Inserat kund zu tun. Er hat Erfolg: drei Antworten. Zwei Auslaenderinnen, die heiraten wollen, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Sie sehen in Mohammed nicht den idealen Partner. Bleibt die Wienerin Mathilda, anfang fuenfzig. Mohammed konzentriert sich auf sie. Er leiht sich immer wieder Geld von ihr.

Mittlerweilen lebt er schon fast anderthalb Jahre illegal in Wien. Als er an einem Samstag aus dem grossen Warenhaus geht, pfeift die Alarmanlage und ein junger Mann rempelt ihn an und stuermt vorbei. Der Hausdetektiv versucht vergebens den Dieb zu halten und schnappt sich dafuer Mohammed. Die Polizei wird gerufen und Mohammed verhaftet. Zwei Kiveri (Polizisten) fahren mit ihm zur Wache. Sie stehen im Stau, machen das Blaulicht an, rasen los und prompt passiert der Unfall. Blechschaden: Die Bullen sind sauer, steigen aus und bruellen den Unfallverursacher an. Mohammed steigt ebenfalls aus und entkommt unerkannt. Er haelt es fuer besser, das Land zu verlassen und will Richtung Westen. Da Mathilda nicht zu Hause ist, nimmt er sich einen letzten Kredit in Form eines wertvollen Ringes und hinterlaesst ihr einen kurzen Abschiedbrief, soweit er ueberhaupt schreiben kann: Natuerlich auf Arabisch.

In der sogenannten Empfangstelle in Basel stellt er einen Asylantrag. Seinen Ausweis haben die oesterreichischen Polizisten, so gibt er sich einen neuen Nachnamen: Hiab, den Vornamen Mohammed behaelt er bei, um nicht den Propheten zu laestern. Sein Geburtsdatum legt er auf 13. Mai 1972 fest, an dem Tag wurde Eva geboren. Offiziell ist er nun 25. Als Geburtsort gibt er Oran, die Berberstadt in Algerien an. Da seine Identitaet festgestellt werden muss, wird sich sein Asylantrag hinziehen. Mohammed kommt in die Fluechtlingsunterkunft der Baselbieter Gemeinde Allschwil. Aus den Auseinandersetzungen im Heim haelt er sich raus. Als Nordafrikaner ist er alleine, da vor allem junge Maenner und Familien aus Kosovo im Heim leben. Er besucht regelmaessig den improvisierten Deutschkurs. Mohammed darf nicht arbeiten. Er hat Zeit und gibt wieder sein Kontaktinserat auf, diesmal selber geschrieben auf der Schreibmaschine im Buero der Fluechtlingsunterkunft. Es meldet sich ein Mann, dessen unzweideutigen Angebote Mohammed ablehnt, ihm dafuer aber unbemerkt die Brieftasche klaut.

Er gibt nicht auf und tauscht im seinem Inserat die schwarze Rose durch eine rote Mohnblume aus. Es meldet sich die 42-jaehrige Sekretaerin Elvira Meier. Schon beim ersten Treffen spricht sie von Heirat und schwaermt von ihren Marokkourlauben. Mohammed geht das zu schnell er bleibt reserviert. Trotzdem treffen sie sich bei Elvira zu Hause, wo sie ihm Fotos ihrer Urlaube zeigt. Mohammed verspricht ihr, sie zu heiraten, allerdings sollen sie sich noch eine Zeitlang testen. Er verschweigt nicht, dass er einen Asylantrag gestellt habe und nicht arbeiten duerfe. Elvira nimmt einen Kleinkredit auf und gibt ihm dreitausend Franken, damit er sich die fuer die Heirat notwendigen Papiere besorgen koenne.

Mit der Zeit ist er neben Elvira mit zwei weiteren Frauen, die er ueber Inserate kennen gelernt hat, im Heiratsprozess. Mohammed lebt mit dieser Masche sehr gut. Er ist gut gekleidet und beginnt sich gegenueber Frauen als wohlhabender marokkanischer Geschaeftsmann auszugeben. Manchmal findet er sein Leben anstrengend und kommt sich getrieben vor. In diesen Momenten geht er in die Moschee. Mit einer Frau hat er einen Rueckzahlungsvertrag fuer seine Darlehen unterschrieben. Alles geht gut bis er von Elvira, die ihn zufaellig in Damenbegleitung in der Broetlibar begegnet, zur Rede stellt. Die beiden Frauen verbuenden sich intuitiv. Elvira und zwei weitere Damen erstatten gegen Mohammed Anzeige wegen Betrugs. Mohammeds Identitaet wird im Laufe des Verfahrens geklaert, da auch ein internationaler Haftbefehl vorliegt. Er wird wegen mehrfachen qualifizierten Betrugs zu einer Haftstrafe von 2 Jahren verurteilt, verbunden mit zehn Jahren Landesverweis. Mohammed Hiab (Bektasch) tritt am 31. Januar 1999 seine Haftstrafe im Schaellemaetteli an.